Montag, 5. Dezember 2005

Robert ist krank

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Wenn sich Robert heute zurückerinnert, weiß er noch genau wie es gewesen ist als er krank war. Es war kurz vor Weihnachten; er war vielleicht acht Jahre alt. Sein Vater musste in der Nacht arbeiten.

Robert hustete und nieste ständig, sein Kopf tat ihm fürchterlich weh und die Temperatur stieg auf über 39 Grad. Das war eine wirklich hohe Temperatur und deswegen wurde der Doktor gerufen. Der verschrieb ihm einen braunen Saft von dem er dreimal am Tag einen Löffel trinken sollte.

Nachdem der Doktor gegangen war, sollte Robert einen Löffel davon nehmen. Aber er wollte nicht, denn der Saft sah ekelhaft bräunlich aus und roch ganz schrecklich. Seine Mutter war aber ganz streng mit ihm. Also musste er den Saft schlucken. Dabei verzog er das Gesicht und es schüttelte ihn heftig, so bitter und salzig schmeckt der Saft, er hätte ihn am liebsten gleich wieder ausgespuckt.

Danach sollte er schlafen, damit er schnell wieder gesund werden würde. Aber obwohl es schon mitten in der Nacht war und sogar seine Mutter schon schlief, konnte Robert nicht schlafen. Ihm war fürchterlich heiß, er schwitzte sehr, wusste schon gar nicht mehr auf welche Seite er sich legen sollte.

Robert wollte es mit einem Trick versuchen. Nämlich hundertmal das Ticken seines Weckers zählen und solange seine Augen geschlossen halten. Vielleicht würde er ja einschlafen, bevor er bis hundert gezählt hatte. Das Ticken des Weckers konnte er ganz deutlich hören, weil es sonst ganz still in seinem Zimmer war. Er begann und als er bei 54 war und immer noch nicht eingeschlafen war, glaubte er nicht mehr daran, machte aber trotzdem weiter. Bei 67 hörte er ein leise schmatzendes Geräusch und bei 84 roch es irgendwie komisch, als ob etwas brennen würde. Bei 100 machte er die Augen wieder auf und schaute direkt auf das Bild von dem Indianerhäuptling „Großer Bär“, das gegenüber von seinem Bett an der Wand hing.

Großer Bär zog leise saugend an einer qualmenden Pfeife. Robert rieb sich die Augen und wollte gerade nach seiner Mutter rufen, als der Indianer anfing zu sprechen. „Robert“, sagte er und rollte dabei das „r“, „ich kann dir helfen gesund zu werden.“ Robert sagte vor Schreck gar nichts, ihm wurde nur noch heißer, der Schweiß lief über seine Stirn. Da dreht sich der Indianer herum und schaute ihn mit kohlenschwarzen glänzenden Augen an. „Du musst nur dem König Umkalabo helfen sein Königreich von den Ungeheuern zu befreien“, dann sog er wieder ein paar Mal an seiner Pfeife und sagte nichts mehr.

Robert nahm seinen Mut zusammen und sagte: „Wie soll ich das denn machen? Wo ist denn das Königreich? Wie komme ich dann dahin? Was sind das für Ungeheuer? Ist das nicht …“. Da unterbrach ihn der Häuptling seufzend, „Weißer Mann stellt zu viele Fragen. Geh durch die geheime Spiegeltüre und folge deinem Weg.“ Noch ehe Robert antworten konnte, erstarrte der Indianer und verwandelte sich zurück in das Bild, regte sich nicht mehr.

Robert stand auf, ging zu dem Bild und betrachtete es genau. Es war nur ein Bild, mehr nicht; hatte er gerade geträumt? Dann ging er zu der Spiegeltüre in seinem Wandschrank, die sah aus wie immer, was sollte daran geheim sein? Er öffnete die Spiegeltüre und schaute auf eine sonnenbeschienene Prärielandschaft, in der Ferne konnte er einen Wald erkennen und dahinter hohe Berge. Es sah aus, wie in einem Cowboyfilm. Aber wie kam das alles in seinen Kleiderschrank? Da, plötzlich huschte ein kleines Erdmännchen nur ein paar Meter von ihm entfernt über den Boden und ohne zu überlegen trat Robert neugierig durch die Türe.

So schnell wie es erschienen war, verschwand das Erdmännchen wieder in einem kleinen Loch. Robert schaute verdutzt und wurde unsicher, wollte doch lieber wieder zurück. Aber als er sich umdrehte war da nichts mehr, keine Türe, kein Spiegel, kein Schrank. Weit und breit nur Prärie und die Sonne über ihm, die heiß brannte. Er fühlte sich hilflos und alleine, was sollte er denn jetzt tun? Da fielen ihm die Worte des Indianer wieder ein: „Folge deinem Weg“ hatte der gesagt. Aber da war doch nirgends ein Weg. In der Nähe war nur ein kleiner Hügel und Robert beschloss dort hinaufzulaufen. Noch während er dorthin unterwegs war, flog plötzlich ein kleiner gelber zwitschernder Vogel um seinen Kopf und landete schließlich oben auf dem Hügel. Vorsichtig näherte sich Robert und gerade als auch er oben angelangt war, flog der Vogel wieder tirilierend hoch und ein ganzes Stück weiter. Da immer noch kein Weg oder irgendetwas anderes besonders in seiner Umgebung zu sehen war, beschloss Robert dem Vogel zu folgen. Tatsächlich funktionierte das ganz gut, denn jedes Mal wenn wer sich diesem näherte flog der wieder weiter und so ließ er sich von dem Vogel führen

Nach einer Weile merkte er, dass sie sich dem Wald näherten, den er schon gleich zu Anfang gesehen hatte und nach gar nicht so langer Zeit konnte er den Waldrand sehen, eine kleine windschiefe Hütte und davor einen breiten Fluss. Der Vogel ließ sich auf dem Giebel der Hütte nieder und Robert stand am Ufer des rauschenden Flusses, schaute sehnsüchtig hinüber. Vor der Hütte war eine hölzerne Veranda und darauf stand eine Bank mit drei Frauen, die ihm zuwinkten. Anscheinend sagten sie auch etwas, denn ihr Münder waren ständig in Bewegung, aber Robert konnte nichts hören, zu laut rauschte der schnell dahin fließende Fluss. Er überlegte, wie er über den Fluss gelangen sollte, denn da war nirgends ein Boot, ein Floß oder eine Brücke. Er konnte zwar Schwimmen, aber der Fluss erschien ihm viel zu breit.

Da setzte er sich an das Ufer und wurde sehr traurig. Er fühlte sich krank, schwach, ihm war immer noch heiß und er schwitzte, außerdem war er alleine und am liebsten wäre er jetzt doch zu Hause gewesen. Wieso war er überhaupt hier, hätte er doch besser aufgepasst und nachgedacht bevor er durch den Spiegel gegangen war. Während er noch darüber nachdachte sah er plötzlich einen großen Baumstamm den Fluss herunter schwimmen, ganz nah an seinem Ufer. Ohne lange zu überlegen stand er auf nahm Anlauf und sprang hinüber zu dem Baumstamm, klammerte sich daran fest. Aber was jetzt? Das Holz war glitschig und wenn Robert sich auch nur ein kleines bisschen bewegte drohte er abzurutschen. Langsam trieb der Baumstamm mit ihm zur Flussmitte, gerade so wie er sich das vorgestellt hatte. Da kam ihm die fantastische Idee, den Baumstamm vielleicht mit seinen Gedanken steuern zu können. Er sah eine Bucht, nicht weit unterhalb der windschiefen Hütte und stellte sich ganz fest vor, dass er genau dorthin treiben würde. Zur Unterstützung paddelte er mit Händen und Füßen im Wasser. Und tatsächlich, es klappte, er näherte sich der Bucht und schließlich landete er dort am Ufer. Er ließ den Baumstamm los, gab ihm einen Stoß und dieser trieb wieder in den Fluss hinein und davon.

Robert war nass, sein Schlafanzug, den er immer noch trug klebte ihm kühl auf der Haut. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass ihm der Schlafanzug zu klein wäre. Er ging auf die Hütte mit den drei Frauen zu. Als er vor der Veranda stand merkte er, warum sich deren Münder ständig bewegten. Die Frau, die ganz links saß sagte immer „hihi“, die Mittlere „haha“ und die rechts „hoho“. Robert schaut erstaunt und dann sagten die drei nacheinander „hihi, wer bist du?“, „haha, wohin willst du?“ und „hoho, was willst du?“.

Er sagte: „Ich heiße Robert und soll dem König Umkalabo helfen sein Königreich von den Ungeheuern zu befreien.“ Worauf die drei erwiderten: „hihi, so ein kleiner Kerl?“, „haha, wie soll das gehen?“ und „hoho, das klappt doch nie.“

Als Robert das hörte merkte er dass er wütend wurde und zornig rief er „Der Indianer hat mich geschickt und gesagt ich soll meinen Weg finden. Dafür dass ich klein bin, kann ich auch nichts und wenn es auch vielleicht nicht klappt, so will ich es trotzdem versuchen.“ In dem Moment flog der kleine Vogel weiter. Robert schaute hinterher und dann die drei Frauen an. Die kamen ihm plötzlich viel kleiner vor, oder war er etwa gewachsen? Tatsächlich, sein Oberteil spannte um seinen Brustkorb und seine Hose sah sehr nach Hochwasser aus. „Hihi“, sagte die links, „mutig bis du ja, na los geh schon oder willst du hier Wurzeln schlagen?“ Die Mittlere sprach gleich hinterher: „Haha, du bist schon richtig, hier nimm das mit und pass gut darauf auf. Das ist die Kugel der Kraft und Stärke.“ und reichte ihm eine silberne, blank polierte Metallkugel. Schließlich zeigte die rechts mit einem dürren Finger hinters Haus, „Hoho, sag der Königin schöne Grüße von uns und da geht’s lang, nimm am besten den Schienenweg.“

„Welchen Schienenweg?“ fragte Robert und schaute abwechselnd die drei Frauen an. Diese aber sagten nur noch „hihi, haha und hoho“ und schauten hinüber zum Fluss, „hihi, haha und hoho“. Er steckte die Kugel in die Tasche und ging hinters Haus, dort wartete der flatternde gelbe Vogel schon auf ihn und flog schwungvoll in den Wald hinein. Tatsächlich, dort war deutlich ein Trampelpfad zu erkennen, der in den dämmerigen Wald hineinführte. Robert lief hinein und folgte dem Vogel. der ihn immer tiefer in den Wald hinein führte. Nachdem er so eine ganze Weile marschiert war, kam er an eine große längliche Lichtung über die Eisenbahngleise in einer sanften Kurve verliefen. Jetzt war guter Rat teuer, er wusste zwar dass er den Schienen folgen sollte, aber in welcher Richtung?

Weil auch der Vogel plötzlich nicht mehr zu sehen war, war Robert ratlos und ging auf den Bahndamm, stellt sich auf die Gleise und schaute sich noch mal ganz genau um. Dann schloss er schnell die Augen, drehte sich ein paar Mal im Kreis und machte sie dann plötzlich wieder auf. In die Richtung in die er jetzt schaute wollte er gehen und lief auch gleich los. Im gleichen Augenblick sprang ihm ein Knopf von seinem Schlafanzugoberteil, so eng war ihm dieses geworden. Weil die Sonne aber immer noch angenehm und warm schien störte ihn das nicht. Bald hatte er seinen Schritt dem Abstand der Bohlen angepasst und fand den Rhythmus sehr angenehm. Fröhlich pfiff er ein Lied und wunderte sich über sich selbst, dass seine anfängliche Ängstlichkeit und Sorge wie weggeblasen war. So kam es, dass er beim marschieren ein wenig ins Träumen geriet.

„Hey“, donnerte plötzlich eine tiefe raue Stimme hinter Robert, der sich nicht bewusst war, wie lange er jetzt schon so vor sich hin träumte, „was glaubst Du was das hier ist? Ein Schleichweg? Mach Platz ich muss den Fahrplan einhalten.“

Robert drehte sich um und stand direkt vor einer zischenden und keuchenden Dampflokomotive. Von der Lokomotive herunter starrte ihn starrte ein ruß verschmiertes Gesicht an. Robert legte die Hände trichterförmig um seinen Mund und rief so laut es ging: „Wohin fahren sie?“

„Was fragst Du so blöd“, schrie das der andere fürchterlich laut zurück, „hier gibt’s nur eine Strecke und die geht immer von der Hafenstadt zur Hauptstadt und zurück und jetzt bin ich auf dem Weg in die Hauptstadt. Wenn Du nicht bald aus dem Weg gehst, werde ich aber wahrscheinlich nie mehr dort ankommen.“

„Die Hauptstadt vom König Umkalabo?“ schrie Robert.

Der andere rollte mit den Augen und seufzte deutlich sichtbar. „Wie viele Hauptstädte und wie viele Könige gibt’s denn deiner Meinung nach, du Schlauberger?“ Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort: „natürlich fahr ich in die Hauptstadt Umkalabrien. So und jetzt mach dich Dünn, bevor ich dich platt fahre.“

Robert hatte eine Idee und rief so laut es ging: „Dann kannst du mich ja mitnehmen“.

Der Lokomotivführer wirkte als ob er jetzt entgültig die Geduld verlor, zog an ein paar Hebeln und Ventilen, worauf es noch mehr zischte, aber dann verstummte die Lokomotive. Er stieg von der Lokomotive herunter und ging bedrohlich auf Robert zu. Aber dieser wich nicht zurück, er schaute dem Rußverschmierten direkt in die Augen und plötzlich wirkte dieser gar nicht mehr so fürchterlich.

„Ich kann dich nicht mitnehmen, oder siehst du einen Zug?“ Mit einer Hand deutete er hinter die Lokomotive und tatsächlich, dort war gar kein Zug. Auf dieser Strecke fahren keine Passagiere mehr, da hab ich einfach den Zug ausgehängt. Dadurch kann ich schneller fahren und muss nicht soviel Kohlen schippen, das geht nämlich ganz schön aufs Kreuz. Früher war das ganz anders, aber in letzter Zeit ist hier einfach nichts mehr los.“

Da hatte Robert eine Idee. Er hielt dem Lokomotivführer seine Hand hin und sagte: „Ich heiße Robert und will dem König gegen seine Ungeheuer helfen. Wenn du mich mitnimmst, dann schippe ich auch die Kohlen für dich.“

Der andere nahm seine Mütze ab, kratzte sich auf dem kahlen Schädel und dachte nach. Dann schlug er in die Hand von Robert ein. „Ja wenn das so ist, dann einverstanden, du kannst Knut zu mir sagen, komm mit, ich zeige dir wie es geht“.

Dann führte er Robert auf die Lokomotive und gab ihm zuallererst einen dunkelblauen rußverschmierten Overall. Weil in dem Schlafanzug könnte Robert ja wohl nicht mehr herumlaufen, der würde ja schon aus allen Nähten platzen. Der Overall war zwar viel zu groß, aber das machte Robert gar nichts, dafür hatte er auch große Taschen und in eine der Taschen verstaut er sehr sorgfältig die silbrige Kugel von den drei Frauen. Er war sehr stolz Kohlenschipper auf einer Dampflokomotive zu sein. Er schippte so schnell, dass sie schließlich sogar ein paar Minuten vor der Zeit in Umkalabrien ankamen.

Dort bedankte Knut sich ganz herzlich, umarmte ihn zum Abschied und gab ihm auch eine Kugel mit, genauso groß wie die andere, aber diese war ganz goldgelb und glänzte schimmernd. „Das ist die Kugel der Liebe und Freiheit“, erklärte Knut. Jetzt hatte Robert schon zwei Kugeln in der Hosentasche. Verwundert musste er feststellen, dass ihm der Overall jetzt wie angegossen passte. Hatte er etwa so viele Muskeln von dem Kohlenschippen bekommen?

Auf dem Weg durch die Straßen der Hauptstadt blieb er vor einer Schaufensterscheibe stehen und betrachtete sein Spiegelbild. „Komisch“, dachte er, „ich sehe aus wie ein großer stattlicher Mann. Als ich heute aufgebrochen bin, war ich doch noch ein kleiner Junge.“ Er grübelte weiter und fand ganz besonders, dass er sich sogar selbst gut gefiel und er war stolz auf sich.

Die Sonne neigte sich langsam und es musste wohl mittlerweile auf den Abend zugehen. Überall auf den Straßen herrschte geschäftiges Treiben, Autos gab es keine, aber Kutschen und Pferdefuhrwerke. Zahlreiche Menschen liefen über Straßen und Gehwege, es gab Hunde und Katzen und auf einem Zaun sah Robert auch wieder seinen Vogel, der wieder mal auf ihn zu warten schien und so ließ er sich auch wieder von ihm führen. Er lief durch verwinkelte Gässchen, über breite Straßen, viel bevölkerte Plätze und durch einen großen Park mit Wiesen und bunten Blumenbeeten. Die Menschen schienen alle wohlhabend zu sein, alles war sauber und aufgeräumt, die Luft war frisch und wenn man jemandem in die Augen sah, dann wurde man auch höflich gegrüßt. Niemand nahm Anstoß an seinem verschmierten blauen Overall, im Gegenteil, er hatte den Eindruck, als ob vor allem die jungen Frauen ihn interessiert betrachteten. Das machte ihn ein wenig verlegen. Die Stadt wirkte überhaupt nicht, als sei sie von Ungeheuern bedroht.

Schließlich gelangten sie an ein großes schmiedeeisernes Tor, das weit offen stand. Der Vogel flog zwitschernd ein paar Mal um seinen Kopf und verschwand dann hoch oben in den Lüften. Robert ging durch das Tor über kiesbestreute Wege, die unter seinen Füßen knirschten auf ein herrschaftliches Schloss zu. Auf dem Platz davor marschierte eine Abteilung von Soldaten in roten Uniformen mit zackigem Geschreie auf und ab. Es hörte sich an, als ob sie ständig „Gaga“ schreien würden. Er ging auf die Eingangstüre zu und dann hinein.

Auf einem großen Schild an der Wand konnte er viele Namen, Titel, Zimmernummern und Pfeilen lesen. Robert wurde fast schwindelig von dem vielen kleingeschriebenen, aber zum Glück sah er noch ein anderes großes Schild, auf dem stand: „Königlicher Empfang im kleinen Saal“, darunter war ein Pfeil der in einen langen Flur wies.

Am Ende des langen Flurs war eine Türe, neben der zwei Soldaten standen. Robert fragte die beiden: „Ist der König dort drin?“ Aber keiner reagierte, also fragte er noch einmal, jetzt etwas energischer: „Könnt ihr mir vielleicht sagen ob der König dort drinnen ist?“ Immer noch keine Reaktion. „Bääääh“, da streckte ihnen einfach die Zunge heraus. Aber nicht einmal ein Mundwinkel zuckte oder ein Augen zwinkerte. Also fasste sich Robert ein Herz und öffnet die Türe ganz langsam.

Kaum war diese einen Spalt weit offen drang lautes Gegröhle und Gejohle heraus. Musik war zu hören und laute Unterhaltung. Robert trat ein und schloss die Türe wieder sorgfältig hinter sich. Vor sich sah er eine wilde Party. Ungefähr 20 Personen, Männer und Frauen, saßen an einem Tisch, aßen und tranken, lachten laut und amüsierten sich ganz offensichtlich königlich. Am Ende der Tafel saßen ein Mann und eine Frau in besonders festlicher Kleidung. Ob das wohl der König und die Königin waren? Die beiden waren eindeutig die lautesten und wildesten unter der ganzen Gesellschaft. Gerade warf der König ein abgenagtes Hühnerbein über seine Schulter und lachte wiehernd, während die Königin rote Wangen hatte und ein halbes Glas Rotwein auf einmal austrank.

Da winkte ihn der König plötzlich mit einer weit ausholenden Geste zu sich.

„Was stehst Du so herum und glotzt?“, rief der König mit rauer tiefer Stimme um die anderen zu übertönen, die ihn zwar betrachteten aber ihr Treiben nicht unterbrachen.

„Ähhhh“, sagte Robert, „eigentlich soll ich das Königreich Umkalabrien von den Ungeheuern befreien und...“

Der König fiel ihm ins Wort. „Ach dann hat der Indianer wohl wieder sein komisches Gras geraucht, dann macht er gern so einen Unsinn. Die anderen hier hat er auch hierher geschickt, die sind nur schon länger da.“ Dann goss er sich ein neues Glas Wein ein und nahm einen tiefen Schluck bevor er fortfuhr.

„Weißt Du, in den Kellern von diesem Schloß wimmelt es nur so von Ungeheuern. Die hier“, dabei deutet er auf die anderen Partygäste, „ sind alle mit dem Auftrag hierher gekommen alle Ungeheuer zu vernichten. Aber, wer glaubt, er könne alle Ungeheuer beseitigen, der ist führwahr Grössenwahnsinnig. Niemand kann das. Nicht einmal ich selbst und ich kann schon ziemlich viel.“

„Jaja Norbert, du bist schon ein toller Typ“, krähte ihn die Königin von der Seite an.

Der König rollte mit den Augen. „Catarina, Schnuckelchen, Du sollst mich doch nicht unterbrechen. Dann fuhr er zu Robert gewandt fort, „Was du aber tun kannst hier in Umkalabrien ist, dein persönliches Ungeheuer zu besiegen. Schon diese Kleinigkeit schaffen die wenigsten, aber da der Häuptling nur die Besten schickt, klappt’s ja vielleicht bei Dir. So wie mit denen hier, das sind echte Teufelskerle, eine echt starke Gruppe. Alle ein bisschen Gaga aber man kann sich keine besseren Gefährten wünschen. Also, wie siehts aus, traust du dich?“

Robert war jetzt ein wenig unsicher aber nickte schließlich mit dem Kopf. Da stand der König auf und verkündete vor der versammelte Gesellschaft: „Ruhe, ruhe, ruhe……“ und schlug mit der Faust auf den Tisch. Dann rülpste er sehr würdevoll, die Königin kicherte und dann war es still.

„Ein neuer Held ist angekommen, schon lange her, dass jemand den Weg hierher gefunden hat. Ähhh wie heisst du eigentlich?“

Robert sagte: „Robert“.

„Robert wird jetzt in den Keller gehen und dort sein persönliches Ungeheuer besiegen. Deswegen soll jeder ihm die Hand geben und ihm alles gute Wünschen.“

Da standen die versammelten Männer und Frauen auf, gingen nacheinander auf ihn zu, schüttelten ihm die Hand, manche klopften ihm auch auf die Schulter und alle gaben ihm sehr persönliche Wünsche und Ratschläge. Er hatte das Gefühl, als ob sie alle ganz genau wussten was ihm bevorstand und dass sie ihn als einen der ihren betrachteten. Das erfüllte ihn mit Zuversicht. Nachdem sich alle wieder gesetzt hatten stand jetzt die Königin leicht schwankend auf und schaute ihn freundlich an.

„Hier nimm diese noch mit auf deinen Weg“, dabei gab sie ihm eine rote glänzende Kugel, die genau zu den anderen beiden Kugeln passte, die Robert jetzt aus der Hosentasche nahm. „Das ist die Kugel der Lust und Freude.“ Dabei grinste sie schelmisch.

„Oh“, erwiderte Robert, „ich soll euch übrigens von den drei Frauen aus dem Wald grüssen“.

„Ach von Hanne, Susanne und Sigrid? Danke. Die gackern doch bestimmt immer noch ständig in der Gegend herum. Jetzt geh aber, es war schön dass du gekommen bist, es gibt nicht viele die diesen Weg gehen. Ich bin stolz auf dich.“

Robert nickte und bevor er noch etwas sagen konnte führte ihn der König zu einer versteckten Türe in der Wand und machte diese auf. „Hier geht’s lang, du kannst dein Ungeheuer gar nicht verfehlen. Immer der Nase nach.“ Dann umarmte er ihn ganz herzlich und sagte: „Ich danke dir für dein kommen.“ Robert drehte sich um und schaute zu den anderen Helden, winkte ihnen zu und sie winkten zurück.

Mit stolz geschwellter Brust und ziemlich breitbeinig schritt er jetzt durch die Türe und dann einen langen von Fackeln beleuchteten abfallenden Gang entlang. Er hörte hinter sich die Türe ins Schloss fallen und wusste, dass es keinen Weg mehr zurückgab. Aber die Gemeinschaft der Helden, der König und die Königin, sowie die drei Kugeln hatten ihm soviel Mut und Sicherheit mitgegeben, dass ihm gar nicht bange war.

Nachdem er eine ganze Zeit durch diesen Gang geschritten war, wurden die Fackeln spärlicher und damit wurde es düsterer und bald hörte er ein fürchterliches grollendes grummelndes Röhren in der Ferne. Der Boden begann zu vibrieren, dann immer deutlicher zu wackeln und zu beben, der Putz bröselte von der Decke. Unwillkürlich begann er mit den Kugeln der Kraft und Stärke, der Liebe und Freiheit und der Lust und Freude zu jonglieren, dadurch bildete sich ein sicherer glitzernder Schutzschirm um ihn herum, der ihn vor herabfallenden Steinen schützte. In der Ferne sah er zwei rotglühende Punkte, die größer wurden und auf ihn zukamen. Zugleich wurde das grollende Geräusch immer lauter, es brauste und zischte, ein Sturmwind blies ihm entgegen. Robert machte sich bereit für die Konfrontation mit seinem Ungeheuer. Der Lärm, der sich wie ein lautes Sägen anhörte schwoll noch mehr an, war kaum noch auszuhalten. Alles um ihn herum tobte und bebte, gleich würde es passieren.

Robert zuckte zusammen, riss die Augen weit auf. Er starrte genau auf die Wand in seinem Zimmer mit dem Bild des Indianers. Er hatte wohl laut geschnarcht und das musste das Geräusch gewesen sein, dass in seinem Traum so fürchterlich gewesen war.

Er schaute sich um, es war mitten in der Nacht. Noch etwas dösig merkte er, dass er erwachsen war und im Bett, neben dem Stuhl auf dem er saß, lag jetzt sein Sohn. Der war krank, aber schlief mit tiefen Atemzügen. Robert erinnerte sich daran, wie er damals krank war, an den Traum und daran, dass er heute nicht zur Arbeit gegangen war um über Nacht bei seinem Sohn bleiben zu können.

Er stand auf, betrachtete das Bild mit dem Indianer, das damals auch in seinem Kinderzimmer hing. Dann ging er ans Fenster, schaute hinaus in die klare Nacht, hinauf zu den funkelnden Sternen. Er lächelte und dann zeigte er allen seinen Ungeheuern den Stinkefinger. Auf der Fensterbank lagen drei Kugeln, eine silberne, eine goldgelbe und eine rote. Er stand lange Zeit dort und dachte über sein Leben, seine Ungeheuer und seinen Traum nach. Er fühlte eine große Zufriedenheit und Ruhe in sich und war sehr dankbar für die Begegnungen mit der Heldengruppe, mit Catarina, Norbert, dem Lokomotivführer Knut und Sigrid, Hanne und Susanne.

(Zur Musik von Quadro Nuevo aus der CD "Canzone Della Strada", Danke Maria)

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